5. Rundbrief an alle Freunde, Verwandte und Bekannte – Cochrane, den 27.12.2001

Ich hoffe Ihr habt alle schön gefeiert, bei mir gab es leider nichts zu feieren, ich warte hier seit nun fast 4 Wochen auf ein Postpaket das nicht ankommen will und man könnte sagen, dass dieser Umstand das letzte Viertel meiner schönen Tour ziemlich versaut hat.

Das letzte mal schrieb ich aus Coyhaique – bereits wartend – von wo aus ich wenigstens noch Tagestouren mit dem Rad unternehmen konnte, weil es noch fuhr. Am 6. November brach ich dann nach Cochrane auf, das Paket wurde inzwischen das erste mal zum Sponsor zurückgeschickt weil die Telefonnummer vom Empfänger fehlte (!!), also gab ich eine Adresse weiter südlich an; in diesen vier Tagen nach Cochrane, fuhr ich zwar alleine, weil alle meine Partnersuchaktionen fehl schlugen, konnte das aber voll und ganz geniessen: mit dem Lago General Carrera und dynamischer Berg- und Wiesenlandschaft gab es viel zu sehen und als Bonus: vier Tage Sonne pur; herrlich hier: aus jedem Bach kann man trinken, einfach toll! 35 km vor Cochrane gab mein Freilauf – ein wichtiger Teil der Hinterradnabe – ganz auf und ich konnte noch nicht einmal mehr treten; so wartete ich 6 Stunden (!) aufs nächste Auto, das mich denn mitnahm.

Ich machte mich auf einen Aufenthalt von zwei, drei Tagen in Cochrane gefasst, und siehe da, eigentlich der denkbar geeignetste Ort zu warten: im vergleich zu umliegenden Orten, die mit bis zu 5300 mm Regen pro Jahr ( etwa 220 Regentage) gibt es hier nur 540 mm, also weniger als die Hälfte von Kempten im Allgäu zum Beispiel; es ist ein sehr geordneter 2500 Einwohnerort, der auf Grund seiner Peripherität vom Staat sehr unterstützt wird: die Gehälter werden hier mit 125 % (!!!) Aufschlag subventioniert, während es kein öffentliches Internet gibt, da unbezahlbar, hat die Grundschule ( 400 Schüler) und das Gymnasium (160), sowie alle städtischen Einrichtungen alle Internet; als netter Touri konnte ich mich da natürlich gut einschleimen und habe bis jetzt 3 mal die mails gecheckt; wie jeder Ort ist hier der „Plaza de Armas“ zentral angelegt, hier baden sich die Kinder abends, wenn es die Temperaturen zulassen, oder es wird einfach nur geratscht. A propos Ratschen: das ist natürlich ganz wichtig hier in Patagonien, hier geht alles ein bisschen langsamer zu, man nimmt sich für das Gespräch auf der Strasse immer Zeit, denn pünktlich zu irgendetwas kommen muss man hier einfach nicht.

Ich lerne die Luisa Dominquez, eine nette Schulinspekteurin, sowie zwei interessante Aussteigerdeutsche kennengelernt habe, mit denen ich dann auch das Reiten ein wenig gelernt habe – eine brave Stute lässt sich lenken, wie mein Tandem: super.

Nach vier Tagen erfahre ich, dass meine Ersatzteile das zweite mal zum Sponsor zurückgeschickt wurden, diesmal aus zolltechnischen Gründen – und man beachte, dass man bei diesem Paket einige hundert (!) von Mark in einen Superschnellservice von DHL investiert hatte („In vier Tagen zu allen Gipfeln dieser Erde“ warben sie einmal im Times-Magazin, einen Bergsteiger mit Paket in der Hand auf einem der Achttausender stehend….unglaublich). Nun, ich wundere mich über meine neu erworbene Lässigkeit, „das übt Deine Geduld, Sebastian“ tröstete Luisa, immer dann wenn ich nachfragte ob das Zeug nun zu ihrem Namen ausgeliefert wurde oder nicht; das Dumme an den Tagen und Wochen hier ist, das ich immer mit der Hoffnung auf den nächsten Tag gefesselt war und mit ohne Rad und mit unbequemen Fahrradschuhen auch gar nicht wegbewegen konnte. Und das bei meiner Verabredung mit dem letzten Mitfahrer der ab dem 1.1. in Torres del Paine auf mich wartet; ich wollte eigentlich die Strasse auf chilenischer Seite bis zum Ende (O’Higgins) fahren und wäre dann – oberspannend – per Fähere und Pferderitt direkt neben dem Berg Fitz Roy in Argentinien rausgekommen, hätte einen Pass direkt durch durch den Nationalpark Perito Moreno nach Torres del Paine nehmen können; alles das geht jetzt nicht mehr und muss über die langweilige argentinische Pampa brettern und auf willige Autos hoffen, sch….. hier hilft alles Jammern nichts, das Leben geht weiter, die Tage bis in den Scoss meiner Freundin vergehen zum Glück genauso schnell…

An einem Sonntag wird hier gewählt und ich lerne Pablo kennen, eigentlich dem ersten Jugendlichen, der Interesse an mir hat, mit dem ich gut reden konnte, im Vergleich zur restlichen Dorfjugend zog er als aufgeschlossener Stadtbursche mit mit 12 Jahren erst hierher; Mutter ist Lehrerin, Vater pensionierter Polizist und meine Tage in dem verschieden Vorgärten sind gezählt: muss wenigstens nicht mehr mal dort mal hier meine Isomatte ausbreiten, nun kann ich bei dieser Familie bleiben, feiere mit ihnen Weinachten und wenns dumm läuft noch Neujahr…

Weinachten feiert man hier am 24. um 24 Uhr, weil ja erst dann der Jesus geboren wurde…also etwas genauer als wir…oh: Michel, mein „Webmeister“, derjenige der die Texte und Bilder immer orthografisch aufbereitet und ins Netz stellt, hat Euch ja einen Weihnachtsgruss geschickt, vielen Dank für die Rückschriften!

Mit Pablo unternehme ich 3 Touren ums Dorf herum, laufend, trampend: gestern kamen wir von einem ganz versteckten Thermenbrunnen wieder…langweilig war mir hier nie, hab viel gelernt, gelesen und kommuniziert, ist halt bloss um das was ich nicht mehr sehen kann schade – Ushuaia, das Ziel kann ich inzwischen auch nicht mehr erreichen (!), das Paket könnte die Tage ankommen, es wurde vor 11 Tagen an meine Mutter abgegeben, dass sie es als Privatperson schicke, zwecks Zoll, nun hing es allein fünf Tage in Santiago und ist jetzt hoffentlich in Coyhaique…

So, fertig ausgeweint geht’s mir gleich mal viel besser, in genau 4 Wochen stehe ich in Frankfurt auf der Matte, in diesem Sinne, haltet die Ohren steif,

ciau Sebastian

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