Tour-Beschreibung von Michael Giefer

Radabenteuer Seidenstraße – 14400 km – in 120 Tagen von Deutschland nach Peking

Wer gerät bei Namen wie Buchara, Samarkand und Seidenstraße nicht ins Träumen. Begriffe wie aus einem Märchen aus tausend und einer Nacht. Heiße Wüsten, Hochgebirge, fremde Kulturen und Völker – der Orient, das Reich der Mitte. Es gibt wohl keine Straße auf der Erde, die für die Menschheit, für den Okzident und Orient, bedeutender war als die Seidenstraße.

Wir, Sebastian(19) und Michael(25), wollten diesen bedeutenden Handelsweg mit dem Rad „erfahren“. 14.400 Kilometer, von Deutschland bis an den Rand der Welt – bis nach Peking.
„Wir sind auf dem Weg nach Peking“, antwortet Sebastian dem ungläubig dreinblickenden Pferdehalter, auf dessen Wiese in Niederbayern wir campen wollen. „Schreibt mir eine Karte, wenn ihr es geschafft habt“, entgegnet dieser und steckt uns noch fünf DM zu.

Nach fast neunmonatiger Vorbereitungszeit sitzen wir nun endlich auf unseren Sätteln und brechen gen Osten auf. Immer der aufgehenden Sonne entgegen. Unser Ziel Peking fest vor Augen. Odenwald, Altmühlthal, die Donau. Noch können wir unser Vorhaben nicht so recht fassen. Schnell ist Wien erreicht und das ungarische Tiefland hält was der Name verspricht – ein absolut plattes und „mückenverseuchtes“ Land.

Ab Rumänien ändert Europa sein von Konsum und Wohlstand geprägtes Gesicht. Wir fahren durch die sehr ärmliche Provinz Arad, durch Transylvanien, dem Land Draculas über die bewaldeten Karpaten bis nach Bulgarien.

Die Türkei. Das christliche Abendland liegt hinter uns; vor uns die Kultur der „Muselmänner“, Minarette und Moscheen. Zum ersten Mal erleben wir die muslimische Gastfreundschaft und sitzen mit den Dorfältesten bei heißem Tee im Schatten der engen Gässchen.

Aufgeregt pfeift uns der wachehaltende „Brückenpolizist“ von Istanbuls Stadtautobahn, die über den Bosporus führt. Erst nach langer Überzeugungsarbeit lässt er uns weiter ziehen. Das erste Ziel, Kleinasien, liegt direkt vor uns. Das Hochland Anatoliens ist heiß und trocken. Nur Schafe und Ziegen finden noch genügend Nahrung zwischen den Felsbrocken und immer wieder warnt man uns vor der PKK, deren Einzugsgebiet südlich der beiden Städte Erzincan und Erzurum liegt.

Nachts hören wir Schüsse in den Bergen – willkommen im „wilden Kurdistan“!

Majestätisch ragt der mit ewigem Eis bedeckte, erloschene Vulkan Ararat aus dem gleichnamigen Hochland empor. Mit einer gewissen Ehrfurcht halten wir den 4137 m hohen Berg im Auge und rollen auf die iranische Grenze zu. Es gilt nun das einzige islamische Land zu durchreisen und mit einem mulmigen Gefühl im Magen fahren wir auf die Grenzstation zu. Schnell sind die Grenzformalitäten erledigt, wir unterschreiben noch einen Wisch, daß wir keine Drogen, Alkohol oder pornographische Schriften bei uns führen und befinden uns auch schon im „Gottesstaat“.

Auf der Suche nach einem geeigneten Frühstück werden wir prompt von einer Großfamilie eingeladen. Gemeinsam sitzen wir bei Fladenbrot, Ziegenkäse und heißem Tee vor dem Haus auf dem Boden und genießen die einfache, aber ehrliche Gastfreundschaft.

Immer wieder lädt man uns zu Tee oder gar einer Übernachtung ein und so fühlen wir uns im alten Persien recht wohl und genießen trotz großer Hitze das gastfreundliche Land. Ein letztes Mal schlagen wir unser Nachtlager tief in einer Schlucht, nahe der turkmenischen Grenze auf. Wölfe heulen uns in einen unruhigen Schlaf.

Seit dem Zerfall des Sowjetreiches im Jahre 1991, sind die zentralasiatischen Länder unabhängig, so auch der Wüstenstaat Turkmenistan.

Das Dungfeuer erhellt unseren ersten Zeltplatz im neuen Land und strahlt weit in die dunkle Nacht hinaus. Nur zu dumm, daß wir nichtsahnend auf einem militärischen Grenzstreifen schlafen. Die Rechnung folgt dann auch prompt am nächsten Morgen. Turkmenische Soldaten bringen uns, ihre Mps in Anschlag, auf einem alten Sowjet-LKW in die nahegelegene Kaserne. Der Kommandant, ein kleiner schmächtiger Mann mit fragendem Gesicht, erledigt ein kurzes Telefonat, wirft dann einen Blick in die Pässe und anschließend sitzen wir uns bei grünem Tee und einer kleinen Schale bunten Bonbons schweigend gegenüber.

Die Temperaturen sinken tagsüber nicht mehr unter 40° C und ab Mary folgen wir der Originalroute der Seidenstraße – mitten durch die Karakumwüste.

Sandverwehungen und eine Herde Dromedare lassen vergangene Jahrhunderte wieder aufleben. Auch wenn die Abstände zwischen den jeweiligen Oasen höchstens 60 km betragen und die Straße geteert ist, halten wir wegen der brennenden Hitze öfter an und setzen uns in den spärlichen Schatten, den die mikrigen Sträucher spenden. Egal wie kalt das Wasser ursprünglich in unseren Trinkflaschen auch war, nach wenigen Minuten ist es pisswarm und bietet keine Erfrischung mehr. Wir schlafen in Sandkuhlen, stehen morgens um 5 Uhr auf, um die frischen Morgenstunden auszunutzen und fahren in die aufgehende Sonne hinein.

Die Schlote der Grenzstadt Charjew steigen rauchend in den Himmel. 15 km vor dem eigentlichen Stadtzentrum halten wir an einem „Cafe“, bestellen Maccaroni mit Tomatenmark und genießen in der kühlen Abendluft diese kulinarische Abwechslung zum sonst üblichen Kebab (gegrillter Lammfleischspieß) mit Fladenbrot.

Wir sind noch ganz mit unseren Nudeln beschäftigt, als ein befreundeter Taxifahrer des Cafebesitzers vorbeischaut. Nach den üblichen Fragen des woher und wohin, werden wir noch auf unsere sexuellen Bedürfnisse angesprochen. Man lädt uns zu einer kostenlosen „Stadtrundfahrt“ ein – „Damenbesuch“ inklusive! Müde winken wir dankend ab.

Dem Amu Darya, bedeutendster Fluß Zentralasiens, der ursprünglich den Aralsee mit Gletscherwasser versorgte, wird seit einigen Jahrzehnten zu Bewässerungszwecken Wasser entzogen. Das Südufer des Aralsees ist seit 1960 um mehr als 48km zurückgetreten und eine, nicht nur auf die Region beschränkte, Umweltkatastrophe entstanden. Nur noch eine schwimmenden Stahlplattenbrücke trennt uns von Usbekistan, mit seinen monotonen Baumwollplantagen aber zwei herausragenden Städten.

Mit Buchara steht der erste wirkliche Seidenstraßenhöhepunkt an. Die wunderschöne Altstadt mit ihren bunten Moscheen, Medresen (islamische Hochschulen) und Minaretten wurde vor ca. 600 Jahren von König Timur Leng und seinem Nachfolger Ulugh Beg erbaut. Bei Eis und Limo sitzen wir im Schatten, direkt gegenüber der Kalan Moschee und dem Kalan Minarett. Früher erschallten nicht nur die Gebetsrufe des Muezzin, sondern auch die Todesschreie der zum Tode Verurteilten über die Stadt, die von dem großen Minarett hinuntergestürzt wurden.

Auf der sogenannten „königlichen Straße“ führt uns die Seidenstraße vorbei an den eindrucksvollen Resten einer alten Karawanserei bis nach Samarkand. Leider ist der eindrucksvolle alte Marktplatz, der Registan, mit seinen blaubunten Moscheen und Medresen wegen einer Musikveranstaltung gesperrt. Von einem Hügel aus schauen wir nochmals auf Samarkand zurück, der Stadt des Orients, wo die Märchen aus „tausendundeiner Nacht“ ihren Anfang nahmen, einer Drehscheibe zwischen Ost und West, wichtiger Umschlagplatz für Waren aller Art.

Gerade wollen wir unser Zelt aufschlagen, als zwei junge Usbeken auf uns zu kommen und uns zu sich nach Hause einladen. Bei Brot, wohltuender Zwiebelsuppe und grünem Tee sitzen wir zusammen mit den männlichen Mitgliedern der reichen Bauernfamilie in einem mit bunten Polstern und noch bunteren Wandtüchern ausgestatteten Wohnraum und schauen uns ein Mekkavideo an. Kurz vor Mitternacht werde ich dann von einem der Söhne geweckt. Im Fernsehen läuft gerade live das Supercup-Endspiel Lazio Rom gegen Manchaster United. Manchester gewinnt 1:0!

In der dt. Botschaft erfahren wir von tadtschikischen Rebellen, die in Kirgisistan eingedrungen, mehrere japanische Geologen gekidnappt halten und allgemein für Unruhe sorgen. Immer wieder hören wir auf dem Weg zur kirgisischen Grenze, dass diese dicht sei, erhalten aber keine verlässlichen Angaben und setzen deshalb unsere geplante Reiseroute fort.

Die Grenze nach Osch ist offen, obwohl uns die Grenzstation eher an einen Kriegsschauplatz als an einen Kontaktpunkt zweier Länder erinnert. Überall liegen Trümmer umher und wie schon so oft müssen unsere Räder zu einer Testfahrt herhalten.

Nach den riesigen Baumwollplantage Usbekistans bietet das Tian Shan-Gebirge wohltuende Abwechslung. Vor uns ragen auch schon die ersten hohen Berge auf und die verkehrlose Straße führt durch kleine Dörfer, die sich idyllisch an die Berghänge schmiegen. Noch können wir der gut geteerten Straße vertrauen, bis die Teerdecke plötzlich aufhört und sich in Schotter verwandelt. Halbwilde Pferde beäugen uns mit erstaunten Gesichtern und keine Menschenseele stört das paradiesische Idyll. Die Piste wird immer schlechter. Kalter Abendwind bläst uns in die Gesichter, als keine Straße mehr zu entdecken ist. Die Bauarbeiter zeigen lächelnd auf eine absolut steile, mit Hilfe einer Planierraupe improvisierte Piste, die sich auf direktem Weg den Berg hochzieht. An Radfahren ist nicht mehr zu denken. Nach dem Motto, „wer sein Rad liebt, der schiebt“, schleppen wir uns mühsam den Hang hoch. Erst jetzt merken wir jedes Gramm Gewicht und ich fluche über zu viel Gepäck. Nach schier endlosem Gezerre und Geschiebe stoßen wir wieder auf die ursprüngliche „Straße“. Erschöpft vom anstrengenden Schieben steigen wir auf unsere Bikes und schlängeln uns die Serpentinen hoch. Heute noch wollen wir den über 3000m hoch gelegenen Paß erreichen und schaffen es gerade noch vor der einbrechenden Dämmerung. Obwohl erst Anfang September, fallen die Temperaturen nachts weit unter den Gefrierpunkt.
Eigentlich sollte ein 17 km langer Downhill ein reines Fahrvergnügen sein, aber diese kirgisische „Hauptstraße“ fordert unsere äußerste Konzentration. Tiefe, mit Wasser gefüllte Schlaglöcher, Matsch und die mehrere 100m tiefe Schluchten machen die Abfahrt zu einem Abenteuer. Dazu noch erschwerende Magendarmprobleme. Aber wir müssen weiter. Wäre da nicht der verflixte Zeitdruck mit dem chinesischen „Paßtransport“. In einigen Tagen müssen wir die chinesische Grenze am Turugart Paß erreicht haben, um nach China einreisen zu dürfen. Die Strecke vom Grenzposten bis zur nächsten offenen Stadt, bis nach Kashgar, ist militärisches Sperrgebiet und darf nicht von Touristen betreten werden.

Immer wieder schlengelt sich die Piste bergab und berghoch, bis letztlich auf beinahe 4000m. Der Ausblick, der sich uns bietet, ist mit Worten kaum festzuhalten, so grandios und eindrucksvoll ist die Sicht. Zu unseren Füssen liegt der Narynfluß, am Horizont ragen die bis zu 6000m hohen, von ewigem Eis bedeckten Gipfel des Tian-Shan, dem sogenannten Himmelsgebirge, gen Firmament. Ein Anblick, wie man ihn in seinen schönsten Träumen nicht vorstellen mag. Wir sind begeistert und gleichzeitig gebannt von der einmaligen Landschaft und genießen die wunderschöne und noch so ursprüngliche Natur.

Die letzen 100km bis Naryn sind geteert und so können wir wichtige Zeit und Strecke gutmachen. Wir versorgen uns mit Weißkohl, Brot und unzähligen Schokoriegeln und starten zu unseren letzten kirgisischen Etappen.

Zwei Kirgisen halten uns auf der Schotterpiste an und laden uns zu sich ein. 16km geht es vom Weg ab in die Berge hinein, bis eine eindrucksvolle alte Karawanserei aus dem 10.Jh. den Weg beendet. Einige kirgisische Filzjurten zieren die Wiese vor der Karawanserei „Tash-Rabat“. In einer der traditionellen Jurten verbringen wir eine geradezu luxuriöse Nacht und erreichen am folgenden Tag rechtzeitig die chinesische Grenze.

Nur noch ein sechs km langer „Todesstreifen“ trennt uns von der eigentliche Grenze und dem Turugart Paß. Auf genau 3752m warten wir bei eisigem Wind auf unseren Transport. Nach zwei Chequepoints und 160 km, dann endlich Kashgar – wir sind in China! Hier teilt sich die Seidenstraße in eine nördliche und eine südliche Route. Beide umgehen mehr oder minder die gefürchtete „Takla-Makan“ Wüste, was übersetzt so viel bedeutet wie „wer sich dort hinein wagt, kommt nicht wieder hinaus“ – Die Wüste ohne Wiederkehr!

Der Sonntagsmarkt in Kashgar gehört zu den größten des Orients. Wir mischen uns unter die 150.000 Besuchern und tauchen ein in die exotischen Gerüche und Anblicke des Morgenlandes. Riesige Menschenmassen aus ganz Zentralasien und China bieten ihre Waren zum Verkauf an und an allen Enden und Ecken wird gefeilscht. Von Kamelen, Nahrungsmitteln, Kleidern bis hin zu Elektrogeräten kann man hier alles erstehen und für den Hunger zwischendurch gibt es die asiatische Fast Food Variante: die sogenannten Garküchen.

Von Kashgar aus ist es unser Ziel, der Südroute, soweit es heutzutage möglich ist, zu folgen.?Informationen über diesen Streckenabschnitt in der autonome Provinz Xinjiang, das von China besetzt ist und von den Uiguren, einem Turkvolk bewohnt wird, gibt es kaum.

Die ersten 825 km bis Niya sind noch befestigt. Die Straße ist absolut flach und führt durch steiniges, sandiges und äußerst trockenes Ödland. Einzige Abwechslung bieten die in regelmäßigen Abständen auftretenden Oasen, meist Dörfer, die aus der Ferne schon an ihren grünen Pappel-Alleen zu erkennen sind, in deren Schatten sich künstlich bewässerte Baumwoll- und Maisfelder erstrecken. Daneben werden Melonen und Trauben angebaut.

Fahrräder, Kamel- und Eselskarren prägen das Straßenbild in den dichtbevölkerten Oasen, dazwischen immer wieder Busse und LKWs – seltener Jeeps. Allmählich werden die Abstände zwischen den einzelnen Oasen größer und immer länger fahren wir durch die trostlose Wüstenlandschaft. Eingegrenzt von der Takla Makan im Norden und dem bis zu fast 8000m hohen schneebedecktem Kunlun Shan- Gebirge im Süden.

Wo wir auch anhalten, umringen uns nicht selten bis zu 50 Uiguren. Es ist schon ulkig, wie ein ganz normales Mittagessen zu einer Attraktion werden kann.
Ab Niya wechselt die Asphaltstraße in eine sandige Wüstenpiste – wir befinden uns jetzt auf der sogenannten „Höllenstrecke“. 300 km Wüste bis zur nächsten größeren Oase. Eine Strecke, die 150 Tage im Jahr vom Sand der Wüste verweht ist – das Radfahren wird zur Qual. Schon jetzt, obwohl erst am Anfang der über 1000km langen Piste, kreisen unsere Gedanken um so banale Dinge wie europäisches Essen, Süssigkeiten, Bier bzw. Apfelschorle. Wie gerne säße ich jetzt zusammen mit Freunden bei einem kühlen Blonden, statt mich zusammen mit Sebastian durch die fast schon unwirklich erscheinende Wüstenlandschaft mit ihren verkrüppelten Baumstümpfen zu quälen. Natürlich genießen wir die grandiosen Naturerscheinungen und rennen zwischen den abgestorbenen Baumstämmen umher, die wie Zeugen einer vergangenen, lebendigeren Gegend stumm dastehen. Aber genau solche Augenblicke machen eine Reise zum Abenteuer. Du suchst nach dem nicht Alltäglichen, nach der Einsamkeit und dem Gefühl des Verlorensein. So paradox das für einige klingen mag, aber die Momente, die man während einer Reise am stärksten verflucht, sind oft genau die Momente, die man vor der Reise gesucht hat und die einem während der Tour prägen und die die Reise zu einem Erlebnis und nicht Alltäglichem werden lassen.

Mit erreichen der Oasenstadt Qarqan endet auch die gefürchtete Höllenstrecke, aber nicht die Wüstenpiste. Ganz im Gegenteil. Sie wird noch schlechter! In Qarqan heißt es dann auch erst mal hamstern. 30 Kekse, zwei kg Birnen, ein kg Äpfel, acht Liter Tee und Wasser, Süßkram, so wie mehrere Brotlaibe, Dampfnudeln und ein Glas Marmelade sind unser pro Kopf Proviant für die nächsten Tage. Schwer beladen verlassen wir die Kleinstadt und begeben uns aus der sicheren Oase in die lebensfeindliche Wüste. Da sich unsere amerikanischen Fliegerkarten als äußerst ungenau herausstellen, erfragen wir bei den wenigen vorbeikommenden LKW-Fahrern die nächsten Siedlungen, um uns nicht ganz dem Schicksal zu überlassen und das Risiko möglichst gering zu halten. Die nun völlig vom Sand verwehte Piste hebt sich kaum noch von ihrer Umgebung ab und immer wieder wird das anstrengende und langsame Fahren durch Schiebepassagen unterbrochen. Meilensteine und die Telefonmaste dienen uns in der Takla Makan als Wegweiser. Der starke Ostwind fegt uns Sand um die Ohren. Das Radfahren wird zu einer einzigen Tortur. Schon nach kurzer Zeit ist jede Pore mit Sand zu. Einziger Schutz bieten unsere Gletscherbrillen und die um Mund und Nase gewundenen Tücher.

Im Osten, hoch über dem Berg, steht dunkelgelb der Vollmond. Es ist schon stockfinster, als der Schein schwacher Lichter uns eine Oase ankündigen, die sich dann als „Doban“, eine Art Straßenmeisterei, entpuppt. Um den kleinen Tisch in der geräumigen Küche tummeln sich einige Uigurenfamilien mit ihren kleinen Kindern. Sie sind mit einem Laster unterwegs in ihr Dorf. Wir gesellen uns dazu und essen gemeinsam Nudeln mit feurig scharfer Soße. Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht und draußen bitter kalt. Warme Kleidung schützt uns gegen die Kälte und im fahlen Mondesschein verlassen wir das Doban. Nachts ist es in der Wüste windstill und wir nutzen die Gelegenheit bei Vollmond zu fahren und legen uns um vier Uhr dann irgendwo ausgelaugt in den Wüstensand.
Der Ort auf der Karte existiert mal wieder nicht und die Straße ist jetzt völlig vom Sand verschluckt. Einzig und allein die Jeepspuren, die sich irgendwie durch die Wüste ziehen, lassen eine Piste erkennen. An Radfahren ist in diesem Sand nicht zu denken. Wir müssen schieben und kommen nur äußerst langsam und schleppend voran. Einzige Abwechslung bieten uns kurze Fahretappen auf zusammengepreßten und festen Sandschollen. Nach etlichen zehrenden Kilometern erreichen wir die Oase Waxxari. Ein Uigure führt uns zu einer kleinen Garküche direkt neben der Baumwollfabrik. Die hübsche Köchin, die wie eine uigurische Variante von Claudia Cardinale aussieht, lässt uns das reichhaltige Nachtmahl noch besser schmecken und weckt in mir Bilder aus Sergio Leones Kinoklassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Je weiter wir nach Osten vorstoßen, desto größer wird der Anteil der Han-Chinesen und als wir Neumiran, erreichen ist der uigurische Einfluß nur noch sehr gering. Für uns bedeutet dieser Ort leider aber auch das Ende der Südroute. Die Originalroute bis nach Dunhuang ist seit Jahrhunderten vom Sande verweht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf die einzig befahrbare Piste auszuweichen, die uns aus dem Tarimbecken und der Takla Makan heraus, in das Altun Shan Gebirge hinaufführt. Felsbrocken und ein Bergfluß versperren uns den Weg. Am Tagesende haben wir ganze 30 km geschafft und schlafen nun bei eisiger Kälte und Nachtfrost auf 3500 m unter freien Himmel erschöpft ein. Das Wasser in unseren Trinkflaschen ist über Nacht zu Eis gefroren und es braucht einige Zeit, bis unsere Extremitäten warm werden und vor lauter Kälte nicht mehr schmerzen. Ohne die in regelmäßigen Abständen auftretenden Dobans, in denen die Straßenarbeiter mit ihren Familien von Anfang Mai bis Ende Oktober leben, hätten wir es wesentlich schwerer. Hier finden wir Schutz, etwas zu Essen und haben die Möglichkeit, das einfache Leben der Leute kennenzulernen. Vorbei an fast 7000 m hohen Bergen fahren wir die letzten km durch die uigurische Provinz Xinjiang, um nahtlos in Qinghai einzureisen und nach über 1000 km Sand und Schotter taucht endlich wieder die Teerdecke auf. Das Qaidambecken entpuppt sich jetzt von seiner schönsten Seite. Was wir auf der Südroute vergeblich gesucht haben, entdecken wir hier auf einer Höhe von über 3000 m. Eine grandiose und gewaltige Wüstenlandschaft tut sich vor uns auf und verwöhnt unsere Augen mit meterhohen Sanddünen. Überwältigt von der Naturschönheit genießen wir den überdimensionalen „Sandkasten“ für Erwachsene. Quer durch die tote Qaidamsalzwüste führt die Straße über das Nanschan-Gebirge, bis nach Dunhuang, der einst letzten Garnisionsstadt Chinas. Dunhuang stieg während der Blütezeiten der Seidenstrasse zu einer der wichtigsten Handelsstädte auf und ist der einzige Ort, der zu allen Zeiten der Seidenstraße von den Karawanen angesteuert wurde. In dieser Oase vereinen sich Nord- und Südroute.

Ständiger Begleiter für die kommenden Tage werden die Reste der großen Mauer, die hier im „Hexi-Korridor“ schon sehr alt und zerfallen sind. Die Straße bis Xi`An, der alten Kaiserstadt und dem eigentlichem Ausgangspunkt der Seidenstraße, führt durch mehrere Großstädte, über das schon winterlich anmutende Qilian Shan-Gebirge und den kultivierten Terrassenfeldbau. Viel hat der alte Kaisersitz von seinem einstigen Glanz nicht mehr behalten. Auch wenn der längste Handelsweg der Welt hier zu Ende geht bzw. beginnt, führt unsere Reise noch weiter bis nach Peking. 115 Tage sitzen wir jetzt schon im Sattel und noch 1300 km liegen vor uns. Der Ehrgeiz hat uns gepackt nach genau 120 Tagen Chinas Hauptstadt zu erreichen. Die Landschaften werden immer langweiliger, die Städte immer größer und so bedauern wir unseren Entschluß nicht, möglichst viele Km zu machen. Nach den letzten 33 Stunden und genau 407 km stehen Sebastian und ich auf dem Platz des „Himmlischen Friedens“. 14400 km und unvergeßliche 120 Tage Abenteuer liegen hinter uns. Einmal von Deutschland bis nach Peking; mit dem Fahrrad auf der legendären Seidenstraße.

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