1. Rundbrief an alle Verwandte, Freunde, Bekannte und Pressevertreter vom 1.9.2001 aus Uyuni/Bolivien
Nachdem ich bereits zwei Mal mehr oder weniger hastig Bilder aus Bolivien und Chile mit einigen Kommentaren geschickt habe (Verzeihung auch für Fehler in dieser mail) schreibe ich jetzt endlich – nach dem ersten Monat der Reise meinen ersten Rundbrief. Nach dem ersten Monat der Reise mit meiner Freundin Valeria – was ja als reine Eingewöhungsphase an die Umstände hier zu sehen ist, habe ich hier im Touristenort Uyuni, von wo aus die ganzen Jeeptouren durch den größten Salzsee der Welt starten, schon 5 Leute gefragt, ob sie nicht Lust haben, die nächsten 2 Wochen bis San Petro de Atacama/Chile mitzufahren. 2 von ihnen war selber mit dem Rad unterwegs, der Rest gehörte größeren Gruppen an, ich werde aber wenn ich hier meinen ganzen Kram erledigt habe, noch einmal explizit auf Suche gehen, den diese wenige hundert km gelten als extrem hart innerhalb von Südamerika- mit schönen Schiebepassagen – und das ist alleine mit dem 80 kg Tandem ziemlich „duro…“
Wir haben bisher über 900 (sicherlich gute) Dias geschossen, sind in den letzten 31 Tagen 1360 km gefahren – im Schnitt also 43, davon über 10% auf reinem Salz, etwa 25 durch tiefen Sand (geschoben) und 640 km auf Asphalt gefahren, also mehr als die Hälfte über z.T. recht unwegsame „Strassen“.
Wir haben bisher seit dem 1.8. fünf mal in Hostals geschlafen, immer zwischen 2 und 10 Mark – der Standart ist aber natürlich ebenfalls recht lausig.
Unsere Tage starten ja nach Zeitzone immer um 7 oder 8, wenn die Sonne rauskriecht und die Minusgrade der letzten Nacht vertreibt, sonst ist es draussen nicht auszuhalten. Danach kochen wir meist eine Stunde, fast immer 500g Reis mit 1 kg Zwiebeln und 500g Möhren z.B. – unsere Reis-Zwiebelpfanne, die wir dann über den Tag verteilt mit dem Brötchen, die man hier für ein paar Pfennig kaufen kann, aufessen; Kekse und wenns gibt Bananen gehören auch zu unserer Ernährung; da wir hier quasi nie schwitzen haben wir den letzten Monat im Schnitt pro Tag weniger als 1 Liter pro Nase getrunken, was sehr sehr wenig ist – wir waren aber immer Topfitt, die gesundheitlichen Startschwierigkeiten waren sofort weg. Tagsüber hat es in der Sonne vielleicht 15 Grad, Wind und Schatten sind immer saukalt, aber bis eben 18/19 Uhr kann man gut mit Trikot plus Windstopper fahren, die Fleecekleider dann fuer danach; aber meistens endeten unsere 3 bis 4 effektiven Fahrstunden eh mit dem obligatorischen Zeltaufbau pünktlich zum Sonnenuntergang.
Gewaschen haben wir uns genau 5 mal, was zugegebenermassen etwas siffig klingt, aber wer hat Lust, das wenige Trinkwasser dazu zu verwenden sich nach Sonnenuntergang zu erfrieren…? Unser Bärenspray und die Machete, die direkt an meiner rechten Vorderradtasche angebracht ist, haben wir bis jetzt noch nicht brauchen müssen, aber es gibt definitiv speziell nachts ein besseres Gefühl, wenigstens ein bisschen „defensa personal“ zu haben; jetzt haben wir aber einen Monat lang hats täglich Kontakt zu Boliovianern, Peruanern und Chilenen gehabt und brauchen eigentlich keine Angst mehr vor bewaffneten Überfällen oder der gleichen zu haben; es ist wieder wie auf der Peking-Reise: die ursprüngliche Angstmache aus Deutschland weicht der Realität; klar ist die meistgestellte Frage: “ Cuanto vale tu bici?“ Was kostet das Rad? Aber mit der 500 -Dollar-Notlüge ist auch das kein Problem. Flicken auf meinen 4 Schläuchen sind bisher etwa 10 – soweit das statistische…
Nachdem wir uns ja in La Paz akklimatisiert hatten, und wir unsrere eigentlichen Pläne den ganzen Monat in den Bergen der Region um La Paz zu verbringen, geschmissen haben, weil es politische Probleme mit Straßenblocken gab und uns das Volk nicht so passte, kamen wir ja durch den Titicacasee nach Peru, wo dann auch recht bald eine wesentlich bessere Kommunikation mit den Leuten anfing, so wie die ersten abenteuerlichen Wegstrecken durch das Altiplano zu durchfahren waren – so nennt man die Hochebene mit stets etwa 4000 Meter über Null, aber eben auch gerne einigen „Extrabergen“, die uns dort einmal auf über 5000 Meter führten; das war auch die Strecke, wo wir einmal nicht auf kleine Bächlein stiessen, woraus wir wie sonst immer mit unseren Katadynfiltern Wasser gewonnen…
Die Leute, die wir hier auf dem Lande, der Pampa, treffen -die Campesinos- sind freundlich bis schüchtern und ganz grosse Fleischesser, Lamafleisch isst man hier. Von den Viechern hat Peru auch die allermeisten, wie es heisst; auf uns als Vegetarier stößt man hier schon wieder mit grossem Unverständnis, aber generell gilt sowieso: wir sind ja komische Gringos…fahren mit dem Bicicleta durch so ein weites Land….witzig: wenn man jemand nach dem Weg oder gar Distanzen fragt, hat er /sie zu 90 % keine Ahnung und es gibt statt km-Angaben meist nur „horas en autobus“-Angaben, aber meist ist die Unterscheidung nur zw. „weit“ und „sehr nah“…. Aber das Rad ist zwecks der allgemeinen Armut trotzdem ein weit verbreitetes Transportmedium, hier hat man 28 Zoll-Englandräder und eigentlich verhältnismäßig ganz ordentliche Mountainbikes, auch mit vielen Gängen – war erstaunt…
Bis auf immense Probleme mit dem Vorderradgepäckträger, den ich nun schon 3 mal hab schweissen lassen, gibt es keine technischen Probleme ( das war auch das einzige nicht gesponsorte Teil, hehe) Das bisher eindeutig beeindruckendste Erlebnis war der erste Teilabstieg vom 4000 m – Plateau auf 1300 nach peruanisch Tarata: noch nie habe ich einen Landschaftswechsel von trocken-verdorrt nach paradisisch-grün nur durch den Wechsel der Höhe anstatt durch Breiten-oder Längengrade erlebet! Zudem das ein prächtiger Downhill war: an die 3000 Höhenmeter in 50 Km nur bergab zu verlieren…das gibt Adrenalin. Mhhh: da hatten wir auch gleich unseren ersten Sturz: die Straße war natürlich unter aller Sau, total staubiger tiefer Sand, teilweise Schotter…und da hat es in einer Kurve das Vorderrad weggezogen – danach hatten wir zwei harmlos blutige Knie, sahen aber gruselig staubig aus – haben uns dann „unten“ auf 1300 Meter in einem Aquädukt der vielen Anbaugärten gewaschen..
In Tacna, südlichsten und ziemlich hässlichen Stadt (mit viel Smog) Peru’s, haben wir mit Christian ( siehe Bilder) das erste mal Kontakt mit einem Jugendlichen auf einigermaßen selben Wellenlänge, der in dem Fall technisch geholfen hat und als Radrennfahrer in rel. ( für unserer Verh. ) normalen Verhältnissen lebt – ansonsten sind die Leute schon sehr anders drauf!
Danach gehts über die superheikle Grenze nach Arica in Chile, wohin wir zwecks Angst vor der Obstmücke alle frischen Sachen vor dem Schlagbaum aufessen müssen, 1000 Stempel und dann erleben wir den krassen Unterschied der beiden benachbarten Länder: sind wir in Spanien? Überall Tourigeschäfte, Neonreklame hier, Hostel dort… die nächsten 5 Tage sollen wir keinen Meter geradeaus fahren…nachdem wir unser Gewicht das erste mal selber und aus eigener Kraft von 0 auf 4600 m gehoben haben, wissen wir schon gar nicht mehr, wie man geradeaus rollt; wir durchfahren 2 Nationalparke sehen neben Alpakas, die den Lamas sehr ähnlich sind, Vicunjas, sone Art Andengazelle, haben die ersten schneebedeckten Vulcane und auch sonst naturell recht nette Landschaft -siehe Fotos; da die Bolivianer ihre Blockaden niedergelegt haben, nachdem ihr alter, krebskranker Presidente abgedankt hat, wechseln wir zum 3. mal das Land und fangen mit Runde 2 durch Bolievien eindeutig die abenteuerlichsten 2 Wochen an:
Werden eine Tag eingeschneit, viel zu kalt, flüchten in ein Loch von Hostel, und werden danach auf den abartigsten Wegen durch die Pampa in Richtung Salar de Coipasa geschickt, unserem ersten Salzsee, der aber leider zwecks des vielen Regens dies Jahr nur zu umfahren war; in einigen Dörfern bekommen wir nur Kekse zu kaufen anstatt des gewohnten Brotes, weil dort eben nur ein paar Familien wohnen – besser aber als diese ausgestorbenen Dörfchen, die tagsüber nur von den Lamaskeletten und Hauten, die überall rumliegen bevölkert sind (der menschliche Rest ist auf dem Felde) oder gar „pueblos caidos“ sind, also vom Erdbenen von vor 5 Jahren eingestürzt und aufgegeben…überhaupt existiert auch hier ein wahnsinniges Urbanisierungsproblem: die Jugend studiert in den Grossstädten, die Kinder sind bei den Alten und die sterben auch bald…mh… a propos: obwohl die Leute schon früh alt aussehen, haben sie anscheinend die selbe Lebenserwartung wir wir in Europa…
Jetzt da wir in einem anderen Teil Boliviens sind, erleben wir die Bolivianer komplett anders: freundlich, offen, nicht so abzockermäßig ( ich denke das macht die Distanz zu den gr. Städten, wie La Paz!) Auf einmal haben wir zugang zu den Schulen, Wohnräumen und kommunizieren richtig gut, die Kinder toben auf dem Tandem rum und helfen beim Taschenpacken…die Hygiene hier ist echt krass: die Leute stinken schon sehr arg, schlafen im „Alles-Raum“, ALLES ist dunkel und dreckig, da leben wir in unserem Zelt und dem Bad jede Woche richtig im Hygienepalast!
Einmal habe ich der allgemeinen Langeweile in den 20 Köpfedörfchen abgeholfen und habe einer dicken Bolivianierin Pfannekuchen beigebracht, die uns aber wohl mehr zu Fragen zum Thema „Deutschland, Ehe und Preisen in Dt.“ im Haus haben wollte… Im ersten Salar schon sehen wir Flamingos- toll, nach 3 Tagen nichts kommen wir etwas ausgebrannt in Llica an, wo wir Folgendes für DEN Trip durch den größten Salzsee der Welt auf 3660 m aufladen: 20 Liter Wasser, 1,5 Kg Reis,; 61 Doppelkekse, 0,5 kg, Kartoffeln, 1 kg Möhren. 1kg Mehl, 4 Eier, Kondensmilch (mhh..gabs da etwa Pfannekuchen? Mein Outdoorprodukt des Jahres 2001: meine Teflonpfanne mit abklappbaren Griff, yeahh, echt pfannekuchenbar..), 300gr Schokolade, 1 kg Mais, 30 Brötchen; ging genau auf: haben immer toll gekocht, uns vor den angeblich minus 15 Grad auf den 2 Inseln dieser grossen weissen Fläche versteckt und nach 140 km Salar de Uyuni, wie man ihn nennt, und diesen fiesen Salzschollen (ach so: Weg gab es keinen, wir fuhren querfeldein) waren die nächsten 2 Schrauben vom Gepäcktragen in der Gabel abgebrochen und das Rad um 1 kg Salz in Antrieb und überall reicher- aber: gut war’s- haben fast alle 15 Minidiscs durch gehört – und Leute was gibts geileres als zu Dave Matthews(Danke Arnulf) in CD-Qualität aber im Westentaschenformat (nein Sony sponsort nicht!) durch unendliches Weiss zu fahren, ballern 2 Filme Sponsorfotos durch, ah..dat war gut; nach 3 Besuchen bei Schweisser und „Waschanlage“ sitze ich zum 3. mal in diesem teuren Internetcafe (5 Mark/stunde) und die ersten beiden male hätte ich noch schreiben müssen, dass hier die ganzen Touris immer in Gruppen unterwegs sind (70% Franzosen) und ich niemanden finde ausser einem netten David aus der Schweiz, der nat. sein eigenes Velo dabei hat…ich fand zwischen durch einen klitzekleinen Japaner, „Hero“ hiesst er, der nachdem ich ihm alles 1,5 h erklärt hatte (sprachliche Barrieren..) entschied, dass er zu schwach sei, und dann fand ich- yeah , Kyle from the States der gerade sein Rad an einen Campesino verkaufte, weil er keinen Bock mehr hatte, die Idee aber geil findet und kräftig wie er ist, die nächsten 2 Hammerwochen bis chilenisch San Pedro de Atacama mittritt. Er will noch bergsteigen zwischendurch, was Daniel und ich auch toll finden, wir harmonieren gut, ich kann mein engl. Wortschatz aufbessern und überhaupt ist gerade alles geil..ach Leute ich bin so froh, dass das genau so klappt wie ich mir das vorgestellt habe! Cool, cool, cool…ihr hört dann ab Mitte September aus Chile hoff ich mit weiteren 20 Digitalbilder von mir!
Und tschüss Sebastian;
Valeria fährt jetzt zu Schwagerfamily nach Santiago und am 14.9. nach Frankfurt zurück; wird ab Oktober Geography in Hamburg anfangen und wurde stets für meine kleine Schwester oder Tochter gehalten, mich schätzte man einmal mit 40 ein, ähh sch.. Valeria war eine gute, zuverlässige Mitradlerin und „muy dura“ tambien!