3. Rundbrief an alle Verwandten, Bekannten, Freunde, Sponsoren und Pressevertreter am 24.10.2001 aus Santiago de Chile

Seit dem letzten Rundbrief ist ein Monat vergangen, was daran lag, dass ich erst massiv Partnerfindprobleme hatte und dann Argentinien zu teuer zum Rundbriefeschreiben war…

Ich bin also wie man den letzten Bildern entnehmen konnte, mit dem Eifeler Peter Wolf in Richtung Antofagsta (Kueste Chile) gestartet, allerdings mit einem Schlenker durch den Salar de Atacama. Ich dachte dort, genau wie die vergangen Wochen aufregende Landschaft vorzufinden – dem war leider ueberhaupt nicht so…dem Norden Chiles mit der ewig oeden Atacama Wueste und den vielen Aspahltstrassen mit Elektroleitungen daneben kann ich nichts abgewinnen; tut mir etwas leid fuer Peter, aber er verlaesst mich planmaessig nach 5 Tagen und einigen Kamerakennenlern/Foto-Sessions und viel gemeinsamen Gekoche in Baquedano, einige km vor Antofagsta, von wo aus er nach Bolivien aufbrach um einen Teil der kommenden 5 Monate dort zu investieren und vielleicht die gleiche grossartige Landschaft zu erleben, wie ich mit den beiden Daniels genoss. Genau die beiden treffe ich unplanmaessig in diesem Oertchen wieder und wir machen uns zusammen zur Schule auf, um nach Internet zu betteln; was wir dort erfahren, denke ich ist das blanke Gegenteil von Bolivien: man interessiert sich fuer uns, laesst uns ins Internet, laed uns zum Duschen ein und wir duerfen im Werkraum der Schule uebernachten; der Hausmeister bringt uns noch Blitzkocher und Thermo und als Hit zeigt man uns des nachts noch den Mond im eigenen Observatorium (siehe Bilder) – Wow.

Da wir nun auch noch Gegenwind haben, lassen wir uns alle Antofagsta von einem Laster mitnehmen, »hacer dedo«- »Daumen machen« sagt man hier, das habe ich auch mit Peter schon angefangen. Hier zeigt sich ein klarer Unterschied zur reise nach Peking, wo Michael (mein damaliger Partner) und ich wirklich jeden Meter selber fahren wollten: wenn es mir hier nicht passt, kürze ich ab, ich möchte hier mehr Landschaft erleben und mit den Leuten kommunizieren, als Kilometer fressen!

Nach 5 stündiger Suche in Antofagasta ( 270 000 Einwohner) bin ich mehr als frustriert: wir scheinen die einzigen Touries zu sein, und die Leute hier sehr apathisch, so dass da auch niemand zu finden war – da bin ich sozusagen das erste mal mit meiner Idee auf die Schnauze gefallen… Ich höre, dass in Salta auf der anderen Seite der Andenkordillere mehr ( also überhaupt) Tourismus sei und konnte fast Daniele überzeugen mich dorthin zu begleiten, statt die Zeit an die Atacamawüste zu verschwenden.

Im Endeffekt trampte ich alleine die 200 km von NN auf 3800 zum Pass »Socompa« von dem ich eigentlich nur gutes hörte… Ich war schon etwas irritiert als der höhere Minenarbeiter (in der Gegend gibt es x Minen) sich mit mir den Weg durch die inzwischen wieder kaum erkennbare Strasse zur »Carabineros« bahnte, wie ein winziges, selbstgebasteltes Schild verriet, denn: ein normaler Tourist würde das nie finden, aber wie sollte man hier auch sonst als mit dem Rad oder hitchhikend durchkommen… Naja, ich war für die 5 Chilenen und 4 Argentinier, die mich alle in zivil, Pantoffeln und mit zerzausten Haar empfingen, der erste Tourist seit Anfang JULI. Wir hatten den
1.OKTOBER (hihi: der Chilene wollte mir nicht glauben, dass das der 10 Monat im Jahr ist…)

Wenigstens ist die Landschaft wieder grandios, ich lehne das nette Angebot der arg. Grenzbeamten, mit ihnen Brot zu backen ab, und stürze mich lieber gleich in Richtung Caip?, dem nächsten Kaff, wo ich lt. der Beamten einkaufen könnte und vielleicht sogar Valeria, die ich da sehr vermisste anrufen könne…

Dummerweise liessen sich die 3 Polizeihunde mit Steinen und Geschrei nicht davon abhalten mir zu folgen, so dass ich aus Gewissensgründen in Caip?, das seit den 70er Jahren komplett verlassen ist, auf den Zug, der einmal die Woche mit einer Hand voll Touris aus Salta nach Socompa fährt, gewartet habe: nach 80 oberharten km und 2 Tagen ohne Fressen, waren sie mir bis zum nächsten Ort »vor die Hunde« gegangen –ich hatte genügend Nahrung für die nächsten 4 Tage. Die Schaffner dieses herrlichen Zugs waren in heller Aufregung, vor einigen Jahren sei auf dem Weg schon ein deutscher Biker gestorben, allerdings hatte der wohl keinen Schlafsack dabei, ich hatte 2… Nun, nachdem ich durch den Zug zwar bequem aber teuer wieder in der Zivilisation abgesetzt wurde, konnte ich endlich wieder telefonieren. Habe vor Salta, einer 560 000 Einw. Stadt, die »Die Schöne« genannt wird, noch einen Bauernbuab 70 km von seiner Schule zur Scheune mitgenommen, konnte aber auch in Salta niemanden aufreissen…Bad Luck. Also gehts gesenkten Kopfes nach Cafayate, dem Partyort in der Region weiter, wo ich denn auch tatsächlich etwas mehr Glück hatte: die einzige Gringa, die aufzutreiben war, dachte ich nach 5 h Überredungskunst für 10 Tage verpflichtet zu haben, aber Nancy, die 28 Politesse, die im November den Euro mit ihrer »Pumpgun«, wie sie mir erzählte, eskortieren wird, hat wenig Zeit und möchte natürlich alles sehen. Nach 3 Tagen mit teilweise wieder völlig andersartigen Landschaft, als gekannt, kratzt auch sie wieder verfrüht die Kurve.

Bis dahin sind wir durch Taffi de Valle gefahren, die kleine Schweiz dort, wo man nach einem Pass durch alpenähnlich Landschaft mit Milkakühen und allen Schikanen an vielen teuren Häusern vorbeikommt. Die letzten 1500 Höhenmeter dieses Passes ins Landesinnere aber fahren wir bei Regen durch einen fetten Quasiurwald, mit Lianen, Orangen, Advokados, Maulbeerbaum-Meeren und allem sonstigen, was ich bisher nie gesehen habe. Wow. Den Daunenschlafsack der mich bei den trüben Temperaturen fast umgebracht hätte musste ich morgens an einem Riesenfeuer trocknen, so feucht wars… und heiss! Nicht dass ich dem harten, kalten Leben des Altiplanos nachtrauere, aber hier auf 500 Meter überm Mehr ist echt gut heiss! Die letzte gemeinsame Nacht wurden wir in das Haus von Tatjana Ostertag eingeladen, einet Tochter eines Altnazis, der sich in den 50ern hierher flüchtete und damals bei IG Farben /Bayer das Cyclon B fertigte – vermied dann entsprechend nach ihrer Gesinnung zu fragen, aber was Pinochet tat, meinte sie, sei schon nötig gewesen; Ansonsten war stark zu merken, dass die 70 Jährige seit 3 Jahren auf versch. Weisen von ihren Söhnen verlassen wurde und niemanden zum reden hatte. jetzt suchet die Überlebenskünstlerin ( verkauft ihre gute Marmelade das Kilo für 2,20 DM – sehr lecker) jemand, der mit ihr die Riesen«Finca« wie man hier sagt, also das 10 HA Grundstück bewirtet. Wer also Interesse hat, ich habe die Adresse…

Irgendwie bin ich so ganz ohne Partner recht ratslos und habe kaum Motivation, deswegen zögere ich nicht mich die kommenden 700 km bis Santiago, wo neue Leute auf mich warten, von den ganzen »Vendedoren«, den fliegenden Verkäufern, die mit ihren Lastern die kleinen Geschäfte abtingeln und Süßkram oder Feuerzeuge verkaufen, mitnehmen zu lassen, der Rest hat Allüren oder Angst. Hier gäbe es viel asslige Mochilenos (Backpacker), die klauen würden…Vielleicht liegt es auch daran, dass sie mit 160 km/h die finnisch geraden Pisten entlang brettern und nicht anhalten wollten…

Von den Vendedoren lerne ich auf jeden Fall viel über Argentinien und wie dreckig es denen geht: klar, im Verhältnis zu Bolivien ist das Nichts, aber wenn man als Süßkramverkäufer einer grossen Marke, 6 Tage die Woche 8 h schafft, im Auto schlafen muss, täglich ein paar Mark Verpflegungsgeld bekommt und seine Familie und die Wohnung für 440 Mark/Monat mur 4 Sonntage im Jahr plus 15 bezahlte Ferientage sieht, und dabei 750 Mark im Monat verdient, egal wieviel Kinder man hat (1 bei ihm) , ist das echt schlecht, nicht?

In Santiago, das als 5-6 Mio. Stadt weniger definierte Sehenswürdigkeiten hat als viel mehr Zentrum für Ausflüge in die Gegend drumherum sei sehr »tranquillo« ist, komme ich bei der Verwandten meiner Freundin unter, wo auch sie vorm Rückflug Mitte September Stop machte.

Das Leben hier unterscheidet sich in seiner »Westlichkeit« kaum vom spanischen z.B. Komme also nett unter, besuche noch ein Mädchen, dass ich in san Pedro kennengelernt hatte und finde in ihrem Bruder den idealen Mitradler für die nächsten 2 Wochen, wenn nicht irgendwas schiefläuft zwischen uns; kurz bevor der Reporter der größten Tageszeitung Chiles in die Wohnung tritt, um ein kl. Interview für die kommende Ausgabe des Reisemagazins der Zeitung zu schreiben, worin ich natürlich um Partner für später betteln werde, erfahre ich tel., dass wir erst mit seiner ganzen Familie im Auto 800 km nach Süden fahren, um die langweiligere Landschaft zu überbrücken und dann seine (Ex-Hippy-) Mutter ein paar Tage mitttritt und wenn sie mit seinem Bike zurückfährt, mich dann Pablo, wie der 19 Jährige Abiturient heisst, tritt. Umso besser… Habe von meinen Sponsoren Magura und Schwalbe Carepakete erhalten um das Bike zu fitten, nun strachelt es wieder, am Montag gehts los… Nun, in diesem Sinne: drückt mir die Daumen Leute, dass ich den November auf der Carrera Austral in Chiles Süden irgendwie überbrücken kann, ab Dezember gibt denn wohl genügend innerchilenische Backpacker…

es grüßt Sebastian;